SeideDie Königin der Textilien?

Auch wenn sie weniger als 0,2 Prozent der weltweiten Faserproduktion ausmacht und damit noch nie den Löwenanteil der Stoffe gestellt hat: Wegen ihres Schimmers, ihrer Eleganz sowie Reißfestigkeit und weil sie sich so zart anfühlt, wird Seide als die Königin der Textilien bezeichnet und ist weltweit beliebt.

Seide kann bis zu einem Drittel ihres Eigengewichts an Feuchtigkeit aufnehmen, kühlt bei Hitze und wärmt bei Kälte. Ihre meist glatte Oberfläche weist Schmutz ab. Auch Gerüche können ihr nichts anhaben. Außerdem soll sie beruhigend auf die Haut wirken. Ein echtes Multitalent. Seide kommt in Schals, Seidenblusen, Tops sowie in leichtfallenden Kleidern, Kimonos und Hosen vor. Wegen ihrer hautfreundlichen Eigenschaften wird sie gelegentlich auch für Kopfkissenbezüge und kosmetische Produkte verwendet.

Ihr Ursprung liegt im Fernen Osten: Vor über 5.000 Jahren züchteten Bauern und Bäuerinnen in China aus Wildseidenspinnern die Maulbeerspinner. Ihre Kokons liefern den Grundstoff für die tierische Naturfaser. Maulbeerspinner ernähren sich hauptsächlich von Maulbeerblättern – daher auch ihr Name. Maulbeerseide macht rund 90 Prozent der weltweit gehandelten Seide aus. Einen Teil vom geringen Rest bildet unter anderem die Seide des japanischen Eichenseidenspinners.

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Wertvolles Handelsgut: Von Ost nach West nach Ost

Seide ist eine der ältesten Textilfasern: In ihrem Heimatland China galt sie als wichtige Handelsware, die schon im alten Rom geschätzt wurde. Etwa im zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung entstand mit der Seidenstraße der erste direkte Handelsweg zwischen China und Europa. Ein Kilogramm Seide hatte denselben Wert wie ein Kilogramm Gold. Der Export sorgte für Wohlstand sowohl in China, als auch bei den Menschen, die entlang der Seidenstraße den Zwischenhandel betrieben.

Vom Mittelalter bis ins 16. Jahrhundert standen Italien und Frankreich an der Spitze der globalen Seidenproduktion. Mitte des 19. Jahrhunderts tötete eine Krankheit die Seidenraupen in ganz Europa, was für die Stilllegung vieler Betriebe sorgte. Darum ist China heute, tausende Jahre später, wieder das wichtigste Land für die Seidenproduktion. Indien folgt als Produzent auf Platz zwei. Im Jahr 2020 haben die beiden Länder zusammen 96 Prozent der Seide weltweit produziert.

Seide, die Naturfaser aus Endlosfaden

Wenn die Larve eines Maulbeerspinners schlüpft, ist sie winzig klein. Innerhalb von vier Wochen frisst sie sich das 14.000-fache ihres Schlüpfgewichts an, bis sie ungefähr fingerdick ist und mit der Verpuppung beginnt. Dabei produziert sie an ihrer Unterlippe eine Flüssigkeit, die an der Luft zu einem einzigen feinen Seidenfaden trocknet. Dieser Faden erreicht eine Länge von 600 bis 900, manchmal sogar 1.500 Metern, den die Raupe zu ihrem Kokon um sich herum verspinnt. Am Ende der Verpuppung verwandelt sie sich in einen Schmetterling und befreit sich aus dem Kokon, indem sie ein Loch in dessen Wand beißt. Dieses Loch lässt den durchgehenden Faden in Hunderte oder Tausende Stücke unterschiedlicher Länge zerfallen, was die Qualität und somit den Handelswert der Seide mindert.

Um das zu vermeiden, begannen Seidenhersteller ursprünglich mit der Verarbeitung der Kokons, bevor die Schmetterlinge schlüpfen konnten und kochten sie. Die Raupen dienten dabei nicht nur als Lieferanten von Seidenfäden, sondern auch als Nahrungsmittel für Menschen und – zumindest in der kleinbäuerlichen Herstellung – teilweise für Tiere. Die Puppen sterben durch das kochende Wasser relativ schnell. Noch schneller wirken neuere Methoden wie die Behandlung mit Heißluft.

Um an den Endlosfaden zu kommen werden die Kokons traditionell in leichter Seifenlauge eingeweicht. Der Endlosfaden wird dann von Hand aus der Lauge gezogen und aufgewickelt oder genauer gesagt „abgehaspelt“.

Für ein Gramm Seide müssen etwa 15 Raupen ihr Leben lassen. Die weltweite Produktion von 91.765 Tonnen Seide in 2020 verursachte den Tod von mehr als 1.376 Milliarden Raupen.

Menschen in der Seidenproduktion

Das Geschäft mit der Seide sorgt für Arbeitsplätze: In China arbeiten etwa 1 Million Menschen im dem Sektor, in Indien sind es 7,9 Millionen Menschen. In Thailand leben etwa 20.000 Familien von der Seidenherstellung.

Traditionell stellen kleinbäuerliche Strukturen auf Seidenfarmen die Faser her. Das Spinnen und Weben des feinen Seidenfadens zählt ebenfalls zum traditionellen Handwerk in Familienbetrieben. Neben den kleinbäuerlichen und familiären Strukturen produziert auch die Industrie Seide.

Verschiedene Berichte weisen auf ausbeuterische Kinderarbeit unter anderem in China und Indien hin. Die Initiative „Aktiv gegen Kinderarbeit“ berichtet, dass Kinder teilweise schon mit fünf Jahren mitarbeiten müssen.

Beispielsweise ernten sie Maulbeerblätter auf Farmen. In Fabriken kochen sie die Kokons der Seidenraupen oder müssen mit bloßen Händen im heißen Wasser ertasten, ob die Seidenfäden weich genug sind für die nächsten Herstellungsschritte. Dabei können sich die Kinder starke Verbrennungen zuziehen. Ihre Kinderrechte werden nicht gewahrt und sie haben keine Möglichkeit, zur Schule zu gehen.

Nachhaltige Alternativen

Bei sogenannter gewaltfreier, Peace- oder Ahimsaseide müssen die Raupen nicht sterben, sondern dürfen noch durch ihren Biss aus dem Kokon schlüpfen. Die vielen zerbissenen Stücke der Seidenfaser lassen sich, ähnlich wie Wolle oder Baumwolle, zu Garn verspinnen. Das hieraus entstehende Gewebe hat etwas weniger Glanz und ist griffiger.

Auch die Gewinnung ausgewiesener Wildseide lässt die Tiere leben: Hierfür werden die Kokons nach dem Schlüpfen der in Japan und China wildlebenden Eichenseiden- und Tussahspinner eingesammelt. Das Endprodukt ist gröber, weniger glänzend und unregelmäßiger.

Bio-Maulbeerseide wird aus Kokons von Seidenraupen gewonnen, die sich nur von biologisch angebauten Maulbeerbaumblättern ernähren. Der Bioanbau von Maulbeerbäumen reduziert die Umweltauswirkungen, die etwa Monokulturen beim konventionellen Anbau verursachen. Antibiotika zur Vorbeugung von Krankheiten sind ebenso verboten wie einige kritische Chemikalien bei der Weiterverarbeitung. Siegel wie der Global Organic Textile Standard (GOTS) beziehen außerdem Sozialkriterien mit ein. Zertifizierte Bio-Seide ist momentan allerdings kaum erhältlich.

Fairtrade zertifizierte Seide wird ohne ausbeuterische Kinderarbeit hergestellt. Man kann sie gelegentlich in Weltläden oder bei spezialisierten Händlern finden.

Für die verschiedenen Arten der Seidenherstellung gibt es jedoch noch keine umfassende Zertifizierung: Wird bei der Herstellung gewaltfreier Seide das Tierwohl der Raupen beachtet, so werden eventuell trotzdem Chemikalien oder Pestizide verwendet oder Kinder müssen im Verarbeitungsprozess mitarbeiten. Bislang gibt es noch kein Siegel, das sowohl Tierwohl, als auch ökologische und soziale Aspekte berücksichtigt.

Bei dem Versuch, eine Alternative für Seide zu finden, entstanden Chemiefasern auf der Basis pflanzlicher Zellulose. Rayon, auch Viskose genannt, galt als die früheste Form von Kunstseide Anfang des 20. Jahrhunderts. Kurz darauf folgte die Entwicklung der synthetischen Faserrohstoffe Polyamid, also Nylon, und Polyester. All diese Stoffe weisen wiederum andere Nachteile auf und können Seide in ihren Eigenschaften nicht vollständig ersetzen.

Schon gewusst?

  • Für ein Kilogramm Seide werden über sechs Kilogramm frische Kokons benötigt.
  • Ein Kilogramm Seide reicht für sechs Schals oder für fünf bis sechs T-Shirts.
  • Für ein T-Shirt fressen Seidenraupen 32 Kilogramm Maulbeerblätter, für ein Seidenkleid sind fast 70 Kilogramm Maulbeerblätter nötig.
  • Der Durchmesser eines Seidenfadens ist bis zu zehnmal feiner als ein menschliches Haar.
  • In den 30er und 40er Jahren bildeten Nylonstrümpfe eine Alternative zu Seidenstrümpfen. Die Innovation war haltbarer, pflegeleichter und robuster. Im Zweiten Weltkrieg entstand ein Schwarzmarkt für Nylonstrümpfe, weil das US-Militär Nylon für Fallschirme und Seile brauchte.