ViskoseDie künstliche Seide, die ein bisschen zu künstlich ist

Viskosefasern genießen das Image der Nachhaltigkeit, denn die Industrie gewinnt sie aus nachwachsenden zellulosehaltigen Rohstoffen wie Holz, Bambus oder Schilf. Die Produktion verläuft aber unter Einsatz großer Mengen an Chemikalien und gleicht eher einer Synthese, weil sie den Rohstoff grundlegend verändert.

Initiativen wie der Internationale Verband der Naturtextilwirtschaft e.V. (IVN) erkennen solche Fasern nicht als Naturtextil an. Bezeichnungen wie Bambusfaser oder Bambusviskose klingen umweltfreundlich und interessant, sind aber irreführend. In der Praxis wird in erster Linie Holz verwendet. Weniger als ein Prozent der weltweit produzierten Viskose wird aus alternativen Rohstoffen gewonnen, die dafür geeignet wären.

Viskose wird auch als „künstliche Seide“ bezeichnet, was sich auf die Merkmale des leichten und atmungsaktiven Endprodukts bezieht. Das Material aus den feinen Fasern fällt fließend und hat eine glatte, leicht schimmernde Optik. Im Jahr 1892 wurde Viskose entwickelt, erlangte aber großen kommerziellen Erfolg im 20. Jahrhundert. Heute macht der Stoff ungefähr fünf Prozent der weltweiten Faserproduktion aus. China ist der größte Produzent mit circa 63 Prozent Marktanteil.

Viskose und die Folgen ihrer Herstellung

Viskose wird hauptsächlich aus dem zwar nachwachsenden, aber knappen Rohstoff Holz gewonnen. Dies fördert nicht nur den Raubbau von Wäldern, sondern der klassische Umwandlungsprozess belastet die Umwelt stark. Bis es zum Endprodukt kommt, sind viele wasser- und energieintensive chemische Arbeitsschritte nötig. Dabei werden Nervengifte wie Schwefelsäure, Schwefelkohlenstoff und Natriumhydroxid freigesetzt, die bei Menschen zu chronischen Vergiftungen, Lähmungen, Sehstörungen, Kopfschmerzen und Gedächtnislücken führen können.

Die Changing Markets Foundation hat Fabriken in Indien, Indonesien und China untersucht. Ein Bericht von 2020 beschreibt, dass alle Standorte ein fahrlässiges Management der Chemikalien aufweisen. Nicht nur die Luft in der Fabrik, sondern auch im Umland ist mit toxischen Gasen verpestet. Außerdem lag die Konzentration von Giften in der Umgebungsluft beim 125-fachen dessen, was die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erlaubt.

Auch die Kontamination des Wassers hat schwere Folgen. Krebs, Tuberkulose, Unfruchtbarkeit und Magenkrankheiten werden auf die Chemikalien zurückgeführt, die von den Fabriken ausgehen. Neben Wasser und Luft sind die Böden, sowie die Lebensräume von Tieren und Fischen, stark beansprucht.

Im Jahr 2020 machten 75 von 100 untersuchten Unternehmen wenige bis gar keine Zusagen, ihre eigenen potentiell schädlichen Produktionsweisen zu verbessern.

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Sogar das Wasser aus meinem Brunnen Zuhause riecht. Im Sommer, wenn der Wind von Süden kommt, wird den Leuten schlecht wegen des Geruchs nach faulen Eiern in der Luft. Hänge ich ein frischgewaschenes weißes T-Shirt zum Trocknen nach draußen, ist es einige Stunden später, wenn ich von meinem Arbeitstag nach Hause komme, gelb. Ein Anwohner nahe einer chinesischen Viskosefabrik.

Von innovativen Herstellungsverfahren zu digitalem Tracking: So kann die Zukunft aussehen

Industrie und Forschung arbeiten laufend an der Entwicklung weiterer Textilien aus zellulosehaltigen Rohstoffen. Expertinnen und Experten fassen solche Fasern unter dem Begriff menschengemachte Zellulosefasern (Manmade Cellulosic Fibers, MMCF) zusammen. Dazu zählen unter anderem Modal, Cupro, Refibra™ und Lyocell, auch Tencel genannt. Die Non-Profit-Organisation Textile Exchange stuft Lyocell derzeit als nachhaltigste Alternative ein. Der Syntheseprozess verläuft über wenige Arbeitsschritte und fängt einen Großteil der Chemikalien im geschlossenen Kreislauf auf, statt sie in die Umwelt freizusetzen. Lyocell macht vier Prozent aller Zellulosefasern aus und liegt damit in der Kategorie an dritter Stelle nach Viskose- und Actetatfasern.

Auch im Bereich Energieverbrauch, Produktinnovationen und zirkuläre Ansätze wird intensiv geforscht. Der österreichische Hersteller Lenzing, ein Pionier in der Branche, hat die Faser Refibra™ entwickelt, die bereits zu 30 Prozent recycelte Fasern aus Baumwollresten und Schnittabfällen der Textilindustrie, enthält. Durch die Verwendung dieser Reste spart man „Frisch“-Zellulose und es wird ein Beitrag zur Kreislaufwirtschaft in der Textilindustrie geleistet.

Der Konzern Aditya Birla erhielt für sein Projekt Liva Reviva den Preis für innovative und nachhaltige Lieferketten des UN Global Compact Network India. 20 Prozent dieser Viskosefaser besteht aus Textilabfällen. Auch die sichere Rückverfolgbarkeit der Lieferkette von zertifizierten Wäldern bis zur Ladentheke durch technische Methoden (Tracking) gilt als richtungsweisend und wurde mit dem Preis bedacht.

Schon gewusst?

  • Cradle to Cradle oder: Von der Wiege bis zur Wiege: In diesem zukunftsorientierten Kreislauf-Wirtschaftssystem stehen die Ressourcen und deren Wiederverwertung im Vordergrund: Es bleibt kein Abfall zurück, sondern wird zu Nährstoffen für Neues. Alle Bestandteile eines Produktes können so endlos in biologischen oder technischen Kreisläufen wiederverwertet werden.
  • Transparente textile Lieferketten für nachhaltige und faire Textilproduktion: Vom Ursprungsland der Faser über spinnen, weben, stricken zu färben, nähen, designen und verkaufen: bei immer mehr Modelabels lässt sich jeder Schritt im jeweiligen Land in der Lieferkette nachverfolgen. In diesen Kleidungsstücken finden sich QR-Codes oder Etiketten, die den genauen Weg des Textils nachverfolgen lassen. Es lohnt sich beim Kauf also, nicht nur auf Design, Marke und Preis, sondern auch auf die Etiketten im Kleidungsstück zu achten – sowohl für die Umwelt, als auch für alle Menschen, die in der Textilbranche arbeiten.